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Dieses Thema hat 1 Antworten
und wurde 803 mal aufgerufen
 Themenabend
Jenny Offline



Beiträge: 40

22.05.2007 21:58
Coming-Out Antworten
Ich habe einen Brief von einem Sohn an seine Eltern...vielleicht kennen ihn ja einige von euch.
Er bringt vieles auf den Punkt, was einem vielleicht auf der Zunge liegt. Manches davon hätte ich nicht schöner und gefühlvoller ausdrücken können.
Was meint ihr?


"Liebe Eltern,

Ihr wisst ich streite nicht gern mit euch, und Meinungsverschiedenheiten zwischen uns sind auch für mich anstrengend und oft schmerzlich. Ich weiß, wie schwer es mir fällt, ruhig und vernünftig mit euch über mich zu reden. Deswegen schreibe ich. Ich möchte, dass wir uns besser verstehen lernen, denn ich bin euer Kind und wir sind miteinander verbunden, auch wenn ihr es jetzt schwer habt, weil ich bisexuell bin (Abwandlung der Redaktion ;o)).

Ich weiß, ihr wünscht euch eine eigene Familie für mich und Enkelkinder, und dass ich ein anständiger, geachteter Mensch bin. Es wäre vieles einfacher für uns alle, wenn ich nicht bisexuell (immer noch ich...) wäre, aber ich bin es nun mal. Es wäre nicht gut für mich, und ich würde bedrückt, krank, wenn ich anders leben sollte, als ich es möchte. Versucht bitte nicht, mir Gefühle einzureden, die ich nicht habe. Versucht auch nicht, mir Gefühle auszureden, die ich habe und die schön und aufrichtig sind.

Ich kann euch keine Enkelkinder versprechen. Aber ich kann einen Menschen finden, der so liebenswert, achtenswert, ehrlich, vertrauenswürdig und liebevoll ist, dass wir zusammen leben können in einer Partnerschaft, die auch ihr respektieren könnt, weil sie menschlich und ehrenhaft ist. Ihr werdet mich nicht verlieren, ihr könnt ein neues Familienmitglied gewinnen, das ihr vielleicht mögen werdet. Vertraut darauf, dass ich die Werte hochhalte, die ihr mir vermittelt habt.

Ich bin bisexuell. Nehmt es hin, nehmt mich hin, wie ich bin. Lasst mir meine Sexualität, meine Gefühle, meine Liebe. Ich fürchte, ihr könntet mich weniger lieben, euch von mir abwenden, mich verstoßen, weil ich ausleben möchte, was ich fühle. Versteht mich nicht falsch, denn ich will euch nicht drängen, etwas gutzuheißen, was ihr noch nicht gutheißen könnt. Ich bitte euch nur, nicht die Augen zu verschließen und mir zuzuhören. Wir haben Zeit, uns einander zu nähern. Ich möchte, dass wir uns besser verstehen lernen und uns nicht unnötig wehtun.

Ich kann mir vorstellen, dass euch das Thema Bisexualität (...no comment ;o)), jetzt wo es euch und unsere Familie etwas angeht, vielleicht wütend macht, weil es euch beängstigt und ihr unsicher seid, wie ihr damit umgehen sollt.

Ich sehe den Schmutz, der in den Zeitungen steht, die Sensationslust und ich höre das Hecheln und Mutmaßen der Nachbarn. Menschen wissen nur wenig über Bisexualität. Ihr solltet also lieber Kontakt zu Bisexuellen und anderen Menschen suchen, die gut mit dem Anderssein ihrer Mitmenschen umgehen können.

Wenn Bekannte mich insgeheim abwerten, obwohl ich nichts verbrochen habe, wenn sie sich nicht bemühen zu verstehen, wenn sie alles vergessen, was gut an mir war und ist, dann gehören sie nicht zu den Menschen, mit denen ich gern persönlich bekannt bin. Ich wäre sehr enttäuscht, wenn eure Angst vor dummem Gerede größer wäre als eure Liebe zu mir.

Sexualität ist für mich ein Feld, auf dem jeder Mensch seine persönliche Freiheit haben soll. Ich werde sie mir nehmen, auch wenn ich dafür einige Abneigung oder sogar Ablehnung erfahren muss. Ich bin es mir schuldig und es gibt ja auch genügend andere, die mich schätzen, wie ich bin und weil ich bin.

Ihr müsst euch nicht nach Gründen fragen, warum ausgerechnet euer Kind bisexuell ist. Niemand kommt auf die Idee, über sein Schlafbedürfnis oder seine Lieblingsspeisen nachzudenken. Ich denke, wir nehmen hin, was uns normal vorkommt, und überdenken eigentlich nur das an und in uns, was weniger uns als vielmehr anderen nicht gefällt. Ich selbst leide nicht darunter, dass ich bisexuell bin. Es ist meine Chance, zu lieben und glücklich zu werden. Schwer machen es mir Mitmenschen, die sich unnötig durch mich gestört fühlen.

Ich hänge mir nicht freiwillig ein Schild um den Hals und strapaziere nicht aus Spaß am Spaß das Schamgefühl anderer Leute, aber ich finde nichts Anstößiges daran, verlebte oder begehrliche Blicke zu tauschen oder im Stadtpark spazieren zu gehen oder auch Händchen zu halten und sich zu küssen. Alle tun das -sogar zum Vergnügen derer, die es sehen. "Was für ein schönes Paar", sagen die Leute, dabei ist es immer schön, wenn Menschen sich lieben, begehren und das einander auch in Worten, Gesten und Gebärden ausdrücken.

Wenn ich in euch einen Halt finden könnte, Eltern, die zu mir stehen und mich in meinem Selbstwertgefühl bestärken, würde mich das sehr freuen und unterstützen. Die kleinen Spitzen im Alltag könnten mich dann weniger treffen oder gar verletzen.

Ich kann von euch natürlich nichts verlangen, sowenig wie ihr von mir, denn wir haben alle unser eigenes Leben, für das wir vor uns selbst Verantwortung tragen und das wir nur selbst leben können. Ihr habt mir das Leben geschenkt und mich großgezogen. Es war eine Zeit, in der ich von euch abhängig und auf euch angewiesen war. Ihr habt die Pflicht, die ihr mir gegenüber nach meiner Zeugung übernommen habt, hingebungsvoll erfüllt.
Dafür bin ich euch dankbar. Jetzt kommt die Zeit, da mein eigenes, unabhängiges, selbstbestimmtes Leben beginnt. Ich würde es gern auch mit euch teilen.
Aber wenn ich an eurem Interesse und eurer Liebe nicht zweifeln soll, dann dürft ihr keine Bedingungen daran knüpfen, die ich nicht erfüllen kann ohne mich selbst zu verstümmeln. Ich müsste euch verlassen oder sterben. Nehmt mir nicht das Leben, das ihr mir einst geschenkt habt, und das dazugehörige Recht auf Selbstbestimmung. Ich will nicht undankbar sein und bin es auch nicht, denke ich.

Falls ihr bestimmte Hoffnungen mit meiner Geburt und meiner Person verbunden habt, müsst ihr bedenken, dass das nicht fair war und ist, denn ihr konntet mich nicht fragen, ob ich eure Erwartungen erfüllen möchte oder auch nur kann, und ich konnte euch nicht antworten. Es muss euch sehr enttäuschen, wenn ich euch hier eine Illusion nehme. Ich kenne den Schmerz über sterbende Illusionen, aber ich weiß auch, wie befreien und belebend es ist, wenn an ihre Stelle Träume treten, die sich verwirklichen lassen. Wir könnten einen dieser Träume zusammen träumen und verwirklichen, so gut wir es gemeinsam vermögen. Meint ihr nicht?

Ihr habt nichts falsch gemacht oder euch schuldig gemacht, aber ihr seid auch nicht bloße Opfer. Wenn euch ein Vorwurf zu machen ist, dann der, dass ihr der Tradition gefolgt seid, Kinder hätten ihren Eltern gegenüber die Pflicht zu gehorchen und ihren Wünschen zu entsprechen. Wünschen, die sie wiederum von ihren Eltern übernommen haben. Ich verstehe aus eigenem Erleben, wie unendlich schwer es ist, die ewige Kette zu durchbrechen: die Kette aus Geboten und Verboten, aus Züchtigung in Worten und Schlägen, aus Zwang und Gehorsamkeit und der Angst, nicht lieb und artig zu sein und jene scheinheilige Liebe zu verlieren, die nur so aussieht, als sei es eine und die offenbar an Folgsamkeit gebunden ist. Generationen vor uns lebten in dieser Tradition und noch Generationen nach uns werden es tun.

Zur Schuld gehört ein Verbrechen und zum Verbrechen ein Leidtragender. Ich fühle mich durch meine Bisexualität nicht geschädigt oder betrogen. Ich habe in dieser Hinsicht keinen Grund zu klagen. Auch heterosexuelle Menschen erleben Enttäuschungen in der Liebe oder treffen durch ihre Eigenheiten auf Unverständnis oder Ablehnung seitens der Umwelt.

(…)

Ihr seid o.k. und ich bin o.k.

Es gibt so viel für uns aneinander zu entdecken, voneinander zu lernen, miteinander zu erleben und miteinander zu teilen. Ich freue mich auf ein Leben in eurer Nähe.

Euer Kind"
StephanG Offline



Beiträge: 11

15.06.2007 16:13
#2 RE: Coming-Out Antworten

hallo jenny.
lese den brief erst jetzt.
schoen ist er, gebe ich zu. ein wenig pathetisch. interessant faende ich aber, wenn dort, wo "bisexuell" steht, "heterosexuell" stuende. vielleicht zynisch, aber treffender und es stellt jede art der selbstverstaendlichkeit in frage.
(nur ein dramaturgischer hinweis!)
liebe gruesse
st.

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